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Haus Meesmann (2011)


EEs gibt Gebäude, die man einfach übersieht. Häuser, die sich tarnen – nicht durch Absicht, sondern durch ihre Alltäglichkeit. Dieses hier, irgendwo am Rand einer deutschen Stadt, gehört genau in diese Kategorie. Ein Bau aus den 1930er Jahren. Unauffällig. Ein bisschen heruntergekommen vielleicht, aber nicht so, dass es jemandem wirklich auffallen würde. Kein Lost Place im klassischen Sinn – mehr ein Ort, der sich langsam aus der Wahrnehmung stiehlt.

Doch wer regelmäßig daran vorbeigeht, merkt es irgendwann: Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Gardinen – unbewegt, seit Monaten. Der Briefkasten – überquellend mit verblichener Werbung. Kein Licht hinter den Scheiben, kein Rauch aus dem Schornstein, nicht einmal ein Hauch von Leben. Und irgendwann ist es klar: Dieses Haus steht leer. Schon lange.

Bei meiner erlaubnisfreien Begehung entdecke ich zwei Wohnungen. Die untere: leer, aber nicht zerstört. Der Zustand ist… verlassen, nicht verwüstet. Die Tapeten, typische Muster der 70er Jahre, lösen sich in Fetzen von den Wänden – vom Schimmel unterwandert, feucht, müde. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als Fototapeten mit Sonnenuntergängen, Alpenpanorama oder exotischen Stränden ganze Wohnzimmer in Traumlandschaften verwandelten. Hier hängen sie wie das Echo einer Zeit, die keiner zurückholen will.

Im Obergeschoss zeigt sich das wahre Ausmaß der Aufgabe. Das Dach ist undicht, die Wände durchzogen von Feuchtigkeit, der Schimmel arbeitet sich mit stiller Geduld durch das Gemäuer. Die Luft ist schwer – ein Mix aus Moder, altem Holz und einem seltsamen Beigeruch, irgendwo zwischen nasser Katze und muffigem Teppichboden.

Und Teppiche gibt es hier viele. Überall. Zusammengerollt, aufgestapelt, in Ecken gestopft. Die zweite Wohnung ist möbliert, aber kein Raum wirkt bewohnt. Nichts ist im Gebrauch, alles ist aufbewahrt. Vielleicht wurde das Haus irgendwann als Lager genutzt. Vielleicht war es auch das Werk eines Sammlers mit ganz eigener Ordnung. Antworten finde ich keine.

In der Küche steht verschimmeltes Geschirr. Im Flur kleben hastig notierte Botschaften an der Wand. Im Wohnzimmer eine durchgesessene Ledercouch, daneben ein Plastikweihnachtsbaum – festlich geschmückt, aber verstaubt bis zur Unkenntlichkeit. An der Wand prangt eine Fototapete: New York bei Nacht, kitschig und surreal. Daneben stehen Koffer, gepackt, bereit. Doch niemand wird sie mehr tragen.

Es ist dieser Moment, in dem Realität und Absurdität ineinander verschwimmen. Alles wirkt eingefroren, als hätte jemand sein Leben im Vorbeigehen auf Pause gedrückt. Ich suche Hinweise auf den Menschen, der hier zuletzt lebte – doch das Bild bleibt verschwommen. Keine Fotos, keine Briefe, kein Gesicht.

Nur Teppiche. Und eine Stille, die lauter ist als jeder Lärm.

Update 2022: Ende 2019 wurde das Haus abgerissen. Die Fläche liegt aktuell noch brach.

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