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Huize Vanneste (2012)


In diesem Haus lebten einst zwei Brüder. Viele Jahre lang. Verbunden durch Herkunft, Geschichte – und am Ende durch das gemeinsame Altern. Als der letzte der beiden vor einigen Jahren nach schwerer Krankheit verstarb, blieb alles so, wie er es hinterlassen hatte. Niemand kam mehr. Niemand änderte etwas.

Das Haus begann, sich aufzulösen.
Langsam. Unaufgeregt. Unerbittlich.

Der alte Mann war am Ende kaum noch in der Lage, den Haushalt zu führen. Die Räume füllten sich mit Dingen – erst geordnet, dann willkürlich, dann sinnlos. Das Dach auf der Südseite war bereits defekt, das Wasser drang ungehindert ein. Es lief an den Wänden herab, vom Obergeschoss bis in das Wohnzimmer.

Pragmatisch, fast stoisch, stellte er die Möbel einfach von der Wand weg. Wo Schimmel wuchs, wich man ihm aus.
Wo Regen tropfte, stellte man Eimer auf.
Das war seine Strategie. Und vermutlich auch sein Widerstand.

Die Küche war der eindrucksvollste Ort – bodenbedeckt mit leeren Nutella-Gläsern. Dazwischen unzählige Toastbrottüten, zu weich, um noch Form zu halten, aber zu trocken, um zu verrotten. Der Kühlschrank hatte im Hausflur Platz gefunden, mit einer Kaffeemaschine oben drauf – eine letzte Bastion von Normalität, improvisiert im Verfall.

Ich betrat das Haus durch die Hintertür, die nur noch angelehnt war. Der modrige, süßlich-faule Geruch schlug mir sofort entgegen. Der Schimmel war überall. An Decken, Wänden, Polstern. Man konnte den Raum nicht betreten, ohne zu spüren, dass man ihn stört.

Und dann geschah etwas Seltsames.

Als ich die Tür zum Obergeschoss öffnete, hörte ich ein leises Rascheln. Ich blieb stehen. Inmitten der Dunkelheit, an der Schwelle eines Raumes, in dem die Vergangenheit haust.
Ein Moment Stille.
Dann trat eine Katze aus dem Schatten. Mager, scheu, grau wie die Tapete, die hinter ihr herabröchelte. Sie blickte mich an – ohne Furcht, aber auch ohne Interesse – und verschwand wieder.

Es war, als hätte das Haus selbst einen letzten Zeugen behalten, der hier streunert zwischen Müll und Erinnerung, ganz ohne Eile. Ein stiller Bewohner, der geblieben ist, als alle anderen längst fort waren.

Ich machte ein paar Fotos, so vorsichtig, als wäre jeder Klick ein Eingriff. Ich konnte nicht sagen, wie viele Jahre hier niemand mehr lebte – aber ich wusste: Hier lebte jemand bis zuletzt. Ohne Aufschrei, ohne Drama. Mit Eimern, Toast und Nutella.

Huize Vanneste ist einer der eindrucksvollsten, wenn auch am stärksten verschimmelten Lost Places, die ich je betreten habe.
Ein Ort, an dem nicht nur Wände verfallen.
Sondern auch Erinnerungen leise unter der Oberfläche weiter atmen.

Relevante Links:
YouTube-Video, das Haus in einem inzwischen üblen Zustand
Fotos auf Raym's Fotosite

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