
Rheinstahl Schalker Verein (2000)
Das Stahlwerk „Rheinstahl Schalker Verein“ wurde im Jahr 1872 in Gelsenkirchen gegründet. Seit 1926 wurden hier Gussrohre im Schleudergussverfahren gefertigt – eine Technik, in der das Werk schnell zur Weltspitze gehörte. Mit zeitweise über 6.000 Beschäftigten galt der „Schalker Verein“ als eine der modernsten Produktionsstätten seiner Art.
Fünf Hochöfen prägten das Gelände – mit angeschlossenen Kesselfabriken, Gießereien und einer imposanten Kraftzentrale. Das hier produzierte Roheisen wurde ausschließlich zur Herstellung von Gussrohren genutzt, nicht weiterverarbeitet zu Brammen oder Profilstahl. Spezialisierung statt Vielfalt – und genau das war über Jahrzehnte der Schlüssel zum Erfolg.
Die Produkte des Werks – vor allem duktiler Gusseisenrohr – wurden weltweit nachgefragt. Trinkwasser- und Abwassersysteme in über 30 Ländern basierten auf dem Know-how aus Gelsenkirchen. Qualität „made im Revier“.
Das Ende kommt in Etappen
Bis 1982 liefen die Hochöfen, doch dann kam der Rückbau. In der Nacht zum 5. März 1982 zerstörte eine Explosion den letzten aktiven Hochofen Nr. 4. Schlagartig verloren 2.600 Menschen ihre Arbeit. Auch die benachbarte Zementfabrik wurde stillgelegt – und mit ihr weitere hunderte Stellen.
Die Region, vollständig ausgerichtet auf die Montanindustrie, traf dieser Zusammenbruch mit voller Wucht. Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, soziale Unsicherheit. Erst mit der Zeit griffen Umstrukturierungsmaßnahmen. Heute ist der Strukturwandel zumindest oberflächlich sichtbar: aus Industrie wurde Dienstleistung, aus Hochöfen wurden Gewerbeparks – doch die Wunden sind tief.
Übrig blieb die Schleudergussrohrproduktion, fortgeführt durch Saint Gobain. Das benötigte Roheisen kam nun aus Duisburg, transportiert per Bahn in Torpedopfannenwagen – täglich, still, routiniert. Eine DB-Lok V60 brachte das Eisen bis ans Werkstor.
August 2001 – Mein Besuch
Bei meiner erlaubnisfreien Begehung fiel mir besonders die große Kraftzentrale auf.
Ein massiver Bau, beeindruckend, aber durch und durch asbestbelastet – vermutlich der Grund, warum sie bis dahin nicht abgerissen wurde. Die alten Gebläsemaschinen waren schon verschwunden, aber viele Armaturen, Schaltschränke und Verteilungen zeigten noch den industriellen Charakter des Ortes.
Im warmen Licht der späten Sommersonne entstanden in dieser Halle einige meiner ästhetischsten Aufnahmen. Schönheit im Stillstand. Funktion im Verfall.
Update 2002 – Plan für das Danach
Bereits 1996 hatte die LEG NRW eine 35 Hektar große Fläche des Werks übernommen. Nur 800 Meter vom Hauptbahnhof entfernt, war klar: Dieses Areal wird nicht ewig brachliegen. In einer Planungswerkstatt wurden Ideen gesammelt, Ziele definiert:
• Die Kraftzentrale sollte abgerissen werden,
• die Trafostation und der Hochbunker hingegen erhalten bleiben,
• auf dem Dach des Bunkers: eine Solaranlage – ein Signal für die Zukunft,
• ein Teil der Fläche mit Tagesbrüchen sollte umzäunt und der Natur überlassen werden,
• auf dem restlichen Areal sollte ein neues Stadtquartier entstehen – Wohnen, Arbeiten, Kleingewerbe, mit Stadtteilcharakter.
Der Maßstab blieb industriell – die Erinnerung sollte nicht getilgt, sondern eingebettet werden.
Update 2004 – Das letzte Kapitel
Saint Gobain kündigte die Schließung des Werks für das laufende Jahr an.
Grund: billigere Importe aus China.
Einige Hundert weitere Arbeitsplätze gingen verloren.
Ein weiteres Stück Industriegeschichte wurde zu Papier, zu Erinnerung, zu Leere.
Update 2006 – Erinnerung trifft Dokumentation
Ein besonderer Dank geht an Bernd Adam, der mir 2006 eine CD mit historischen Werksaufnahmen überließ. Bernd, ein ehemaliger Mitarbeiter des Schalker Vereins, hatte mich über das Gästebuch auf dubtown kontaktiert – daraus wurde mehr als ein Austausch: ein Gesprächspartner mit Geschichte, ein Zeitzeuge. Glück auf nach Erle!
In meiner Bildergalerie sind seine historische Fotografien des Werks ebenso zu finden wie meine eigenen Aufnahmen aus den letzten Betriebsjahren – zwischen Stahl, Staub und Sonnenlicht. Der Schalker Verein steht heute sinnbildlich für eine Ära, die gegangen ist – nicht laut, nicht abrupt, aber unwiderruflich.



































































































