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Johanniterheilstätte Sorge (2008)


Es gibt Orte, die man betritt – und sofort spürt: Etwas stimmt hier nicht.

Während eines Familienurlaubs im Harz hatte ich die Gelegenheit, zwei alte Sanatorien zu erkunden. Beide lagen versteckt im dichten Wald, nur einen Steinwurf entfernt von der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Die Johanniterheilstätte Sorge ist einer von ihnen – und ihr Name hätte kaum passender gewählt sein können.

Tief im Forst, kilometerweit von jeglicher Zivilisation entfernt, erhebt sich die Heilstätte wie ein Mahnmal gegen das Vergessen. Erbaut 1898 als Lungenklinik für Tuberkulose-Patienten, über Jahrzehnte hinweg genutzt, später zweckentfremdet – und schließlich aufgegeben. In den 1950er Jahren endete der medizinische Betrieb. Ab 1968 übernahm die NVA-Grenztruppe das Gebäude als Kurheim, nach der Wende diente es kurzzeitig der Bundeswehr zur Erholung. Doch seit dem Jahr 2000: Stillstand. Niemand mehr da. Nur der Wind.

Und der ist nicht allein.

Als ich an diesem Tag ankam, zog sich der Himmel bereits zusammen. Ein Gewitter braute sich über dem Harz zusammen, so schwer, dass die Luft flimmerte. Dann kam der Regen. Nicht zaghaft – sondern mit Wucht. Böen peitschten gegen die Fassade, Äste knackten im Wald. Plötzlich war alles anders. Die Johanniterheilstätte wurde zum Bates Motel, und ich war mittendrin.

Die Fensterläden schlugen unkontrolliert gegen das Mauerwerk. Jalousien klapperten. Der Regen prasselte auf das Dach wie zischende Nadeln. Ich verlor jedes Gefühl für Richtung – und für Kontrolle. Jeder Gang, jede Ecke, jede Tür wurde zur Bedrohung. Ich konnte kaum unterscheiden: War das ein Schritt? Ein Atmen? Oder einfach nur der Wind?

Die Heilstätte ist alt, verwirrend verwinkelt, mit zahllosen Fluren und Abzweigungen. Wer sich hier verläuft, findet nicht so schnell zurück. Und irgendwann fragt man sich unweigerlich: Bin ich wirklich allein hier drin?

Dann: der Fund eines Operationssaals. Ungewöhnlich – und verstörend. Im ersten Obergeschoss, zwischen leeren Krankenzimmern und verfallenen Vorratsräumen, liegt er einfach da. Verlassen, aber nicht vergessen. Man meint, noch das kalte Metall zu spüren. Den Geruch von Desinfektionsmitteln. Oder Schlimmerem.

Ein paar Etagen höher: ein ausgebrannter Kinosaal. Die verkohlten Ränge erinnern an eine andere Zeit, als hier noch Gelächter, Lichtspiel und vielleicht sogar Hoffnung zu finden war. Heute hält ein rostiges Außengerüst das Gebäude notdürftig zusammen. Als würde es sich weigern, zu sterben.

Und dann sind da die Nebengebäude. Teilweise verschlossen. Und in manchen… brennt Licht. Kein Scheinwerfer, kein Restsonnenstrahl. Elektrisches Licht. Ich kann mir das nicht erklären. Und ich will es auch nicht.

Ich verließ das Gelände mit einem Gefühl, das mir geblieben ist: Dieses Haus sieht dich. Es hört dich. Es denkt vielleicht sogar mit.

Und es hat noch nicht alles erzählt.

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