
Psychiatrie Cogoleto (2008)
Obwohl ich durch eine offen stehende Tür in das Gebäude trete – ganz legal, ohne Gewalt, ohne Eile – überkommt mich sofort ein Gefühl von Enge. Gefangen, in einem Ort, dessen Fenster allesamt vergittert sind. Wo einst Licht und Luft zur Heilung beitragen sollten, schlägt mir heute nur stickige Wärme entgegen. Die meisten Fensterscheiben sind eingeschlagen, ein trockener Wind zieht durch die weiten Flure, bewegt lose Blätter, lässt Türen knarren.
Seit über zehn Jahren ist hier niemand mehr offiziell untergebracht. Keine Patienten, keine Pfleger, kein Alltag mehr. Und doch spürt man ihn – diesen Nachhall. Es ist schwer zu glauben, dass hier Menschen gesunden sollten. Nicht unter diesen Umständen.
Die wenigen erhaltenen Waschräume – ebenfalls vergittert. Die Türen der Nebenzimmer sind massiv, aus schwerem Holz oder Stahl, viele mit einem Sichtschlitz auf Kopfhöhe. Funktionale Architektur für eine Zeit, in der Beobachtung mehr zählte als Vertrauen.
In manchen Trakten findet man riesige Räume – ehemalige Schlafsäle mit der Größe von Turnhallen. Massenunterbringung, effizient, anonym. Wer sich dem System entzog, wurde separiert. In Zellen mit gepolsterten Wänden, mit dicken Türen und keiner Privatsphäre. Eine Welt zwischen Fürsorge und Kontrolle, zwischen Therapie und Ausgrenzung.
Die Psychiatrie von Cogoleto, idyllisch gelegen an der ligurischen Küste im Norden Italiens, wurde zwischen 1908 und 1933 errichtet. Für ihre Zeit galt sie als fortschrittlich: Pavillon-System, großzügige Parkanlagen, viel Licht, viel Raum. Insgesamt 40 Gebäude, verteilt auf ein hügeliges Gelände. In jedem Pavillon lebten durchschnittlich 54 Patienten – zumindest auf dem Papier.
Doch wie so oft war das Ideal größer als die Realität. Die Anstalt wuchs, die Belegung stieg, die Zustände kippten. Aus Platz wurde Enge, aus Ruhe wurde Lautstärke. Aus medizinischer Vision wurde Verwaltungsroutine.
Im Juli 1998 wurde die Psychiatrie endgültig geschlossen – nach Jahrzehnten der Veränderung, Reformen, und Rückschritte. Seither verfällt der Komplex langsam. Einzelne Gebäude wurden bereits umgenutzt. Für die Zukunft ist Großes geplant: Die Anlage soll bis 2011 zu einem olympischen Dorf umgestaltet werden – ein neues Kapitel auf altem Fundament.
Doch heute, hier, ist davon noch nichts zu spüren. Nur verlassene Flure, verrostete Bettengestelle, flackernde Erinnerungen an ein System, das irgendwann nicht mehr zu heilen wusste.
Cogoleto erzählt keine Horrorgeschichte – aber eine unbequeme. Über das, was wir mit Menschen tun, wenn sie nicht in das Raster passen. Und über Gebäude, die mehr zurückhalten als nur ihre Türen.
Links zum Thema:
Zur gleichen Zeit am selben Ort: Der Spurensammler
Aufnahmen vom Frühjahr 2008.



























































