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Kokerei Zeebrügge (2002)


Direkt an der belgischen Nordseeküste, dort wo der Wind nicht nur den Sand, sondern auch die Zeit verweht, liegt sie: die Kokerei Zeebrügge. Eingebettet zwischen klassischem Dünengras, Windrädern und rostenden Zäunen, breitet sich eine der marodesten Industrieanlagen aus, die ich je betreten habe.

Hier hat nicht nur der Verfall zugeschlagen – hier hat das Meer mitgearbeitet.
Die salzige Nordseeluft, permanent, aggressiv und allgegenwärtig, hat ihre Spuren an jedem Metall, jedem Rohr, jeder Kante hinterlassen. Nichts ist hier einfach nur alt. Alles ist zersetzt.

Besonders auffällig ist der Zustand der sogenannten „weißen Seite“ – einer Reihe von Anlagen, die einst für chemische Prozesse genutzt wurden. Der Geruch, der sich dort ausbreitet, ist beißend, süßlich, fast ätzend. Man kann sich nur wenige Minuten in den Gebäuden aufhalten, bevor der Körper reagiert: Kopfschmerzen, flacher Atem, das Gefühl, dass der Ort einem mitteilen will: „Hol nicht zu viel Luft. Du bist hier nur zu Gast.“

Ich bin an diesem Tag allein unterwegs, das Wetter ist perfekt. Die Sonne bricht durch den Dunst, der vom Meer her zieht, und lässt die Reste der Kokerei fast majestätisch glühen. Ich verliere mich in den Motiven: Strukturen, Schatten, Rost, all das in einer beinahe surrealen Kulisse.

Und dann – Blaulicht. Martinshorn. Die örtliche Polizei fährt direkt auf mich zu.
Das Herz bleibt für einen Moment stehen. Ein Anwohner? Ein Hinweisgeber aus dem benachbarten Industriebereich? Tatsächlich wurde man vom Werkschutz nebenan alarmiert – angeblich hielten sich Diebe auf dem Gelände auf. Als ich mit Kamera und Stativ vor ihnen stehe, scheint der Verdacht schnell zu zerstreuen.

„Was machen Sie hier?“ –
„Fotografieren.“ –
Ein Blick, ein Schulterzucken, dann nicken sie.
Kein Platz für böswillige Absichten.
Ich darf weiterarbeiten.

Die Kokerei Zeebrügge ist längst Geschichte – und sie verrottet mit Stil. Ein Sinnbild für das, was war – und nie wieder sein wird.

Besonders im Gedächtnis bleiben die beiden Löschwagen, die noch immer wie ein Paar auf ihren Schienen stehen. Eingespannt. Bereit. Als würden sie nur auf das nächste Kommando warten, um wieder glühenden Koks zu löschen.

Nur: Der Koks wird hier nie wieder gelöscht werden. Der letzte Ton ist verklungen, der letzte Kohlenstaub verweht.

Was bleibt, ist ein stillgelegter Koloss, ein Denkmal der Industrie in maritimer Zersetzung – und eine Bilderserie, die von Salz, Stahl und Stillstand erzählt.

Nachtrag 09/2004: Zeebrügge wird abgerissen.

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