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Ospedale Neuropsichiatrico Villa Sbertoli (2008)


Wenn das eigene Kind leidet, tun Eltern alles, was in ihrer Macht steht. Signore Sbertoli war einer von ihnen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts ließ er eine prächtige Villa errichten – mediterran, großzügig, voller Hoffnung. Doch sie war nicht für rauschende Feste gebaut. Sondern für einen einzigen Zweck: die Heilung seines geisteskranken Sohnes. Ein Leben lang kämpfte er für ihn. Und als Sbertoli starb, überließ er sein gesamtes Vermögen der Wissenschaft – damit andere Wege finden mögen, wo er nur versuchen konnte.

Aus der Villa Sbertoli wurde eine psychiatrische Klinik. Und aus dem privaten Schmerz eine öffentliche Institution. Mit der Zeit entstanden im umliegenden Park universitäre Gebäude. Hier wird bis heute geforscht, gelehrt – und vielleicht auch verdrängt.

Ich stehe an einem verregneten Vormittag vor dem Hauptgebäude. Der gelbe Putz blättert in Fetzen von der Fassade, Palmen im Vorgarten hängen schlaff wie ausgezehrte Erinnerungen. Es könnte auch irgendwo in Kuba sein – wäre da nicht die bedrückende Aura, die diesen Ort umgibt.

Die Villa war einst eine geschlossene psychiatrische Anstalt. Das sieht man sofort. Hinter jedem Fenster: Gitter. Ein architektonischer Reflex auf Angst. Oder auf Kontrollbedürfnis.

Im Erdgeschoss stoße ich auf eine Reihe von Räumen, die mich erschüttern. Die Wände sind voll mit Zeichnungen – Kindermotive, denkt man im ersten Moment. Doch dann erkennt man: Das kann nicht sein. Die Bilder hängen viel zu hoch. Es müssen Erwachsene gewesen sein, die hier mit kindlicher Strichführung Kriege gemalt haben. Gewehre. Blut. Verletzte Frauen. Männer mit Bärten und harten Gesichtern. Kinder mit offenen Wunden. Szenen aus einem inneren Krieg, der nie aufhörte zu toben.

Was wird mich hier noch erwarten?

Im Obergeschoss finde ich einen großen Saal. Die Reste eines einst repräsentativen Raums. Hohe Decken, zerfressene Stuckverzierungen, ein altes Klavier, dessen Saiten nur noch Fragmente von Melodien tragen. Der Wind weht durch eingeschlagene Fenster, treibt einen Haufen EEG-Aufzeichnungen über den Boden. Als würde das Haus selbst atmen – oder zittern.

Ich betrete weitere Räume. Gepolsterte Türen, nur von außen mit Griffen versehen. Die absolute Einbahnstraße. Die Idee von Sicherheit – aber für wen? Auf dem Boden: Patientenakten, durchnässt, zerfleddert, in den Dreck getreten. Man liest Namen, Diagnosen, Schicksale – und möchte doch keine Details wissen.

Die Untersuchungsgeräte wirken wie Relikte aus einem anderen Jahrhundert. Gebissspuren im Polster einer Liege, rostige Schnallen, klebrige Reste von Fixiergurten. Kein Requisit. Kein Filmset. Realität.

Hier hat sich der Wahnsinn eingebrannt. Nicht nur in die Wände – sondern in das Raumgefühl selbst. Man spürt ihn, wie einen unsichtbaren Nebel. Als wäre der Schmerz von Generationen noch nicht entwichen. Nur geschwiegen. Nur archiviert.

Die Villa Sbertoli ist ein Ort voller Schichten. Architektur und Abgrund, Hoffnung und Scheitern, Therapie und Folter – alles zur gleichen Zeit. Und wenn man geht, lässt man etwas zurück. Und nimmt etwas mit, das man nie ganz ablegen kann.

Link zum Thema:
- Der
Spurensammler zur selben Zeit am gleichen Ort.
- Ausführliche
Wiki zu Sbertoli
- Sehr schöne Fotos von
Nicole

Update 2010: Michael und Sigrid aus Österreich berichten, dass die Villa zugemauert wurde. Somit gibt es anscheinend keine Möglichkeit mehr, das Anwesen zu betreten.
Update 2017: Parco berichtet, dass die Villa wieder zugänglich sein soll. In einem Nachbargebäude scheint jemand zu leben. Vielen Dank für die Info.

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